Urtanz

Rund um den Globus finden wir Tänze, die unsere Aufmerksamkeit auf die Brust-, Bauch- und Hüftregion lenken.

Wir wissen nicht genau , wann unsere Vorfahren begannen, Rhythmus zu schlagen und sich danach zu bewegen. Vielleicht brachten sie natürliche Rhythmen, wie z.B. der eigene Herzschlag oder der Atemzyklus dazu, diese in besonders gefühlsgeladenen Situationen nachzuahmen, indem sie mit Steinen oder Stöcken auf die Erde oder Baumstämme schlugen und hierbei feststellten, dass sie damit ganz unterschiedliche Töne erzeugten.

So wie das Universum, unterliegt auch die Erde mit allen Lebewesen bestimmten zyklischen Abläufen, wie etwa Wechsel von Tag und Nacht, Mondphasen, Jahreszeiten, sowie Ebbe und Flut. Die Menschen sind mit diesen Naturgesetzmäßigkeiten untrennbar verbunden. Vielleicht sind sie der wahre Impuls für tänzerische Betätigung und erklären, warum wir es heute noch genießen, uns beim Tanz zu drehen, uns zu schlängeln oder lustvoll zu schütteln. Es sind aus der Natur abgeschauten Tanzlemente, wie z. B. auch die Vogelbalztänze. Dafür könnten auch viele rituelle Vogelmasken sprechen, die Archäologen in den vorpatriarchalen Kulturen gefunden haben.
Ich bin sicher, dass der Tanz ursprünglich eine rituelle Bedeutung hatte, existenznotwenig war und keinesfalls nur als Vergnügen diente, wie in den meisten Fällen heute. Jedoch erfüllt die Bauchtänzerin noch heute eine wichtige Funktion bei wichtigen festlichen Anlässen wie Beschneidung oder Hochzeit in den orientalischen Ländern. 
Manche Tänzerinnen distanzieren sich von der Bezeichnung Bauchtanz, doch ich finde, dass man den Bauch, aus dem das Leben und ein wesentlicher Anteil unserer Gefühle entstehen, nicht genug in den Mittelpunkt stellen kann und betrachte ihn als etwas Heiliges.
Was wir unter dem Begriff „Orientalischer Bauchtanz“ verstehen, bezieht sich auf eine Tanzkunst, die sich zuerst in den Ländern des Nahen Ostens und in Südeuropa entwickelte, sich aber mit ihren vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten in der ganzen Welt durchgesetzt hat. 
Der heutige Bauchtanz nimmt seinen Anfang in den Fruchtbarkeitsriten der matriarchalen Gesellschaften und hatte also eine kultische Bedeutung. Es ist ein uralter Tanz, durchgeführt, um die Fruchtbarkeit der Erde und der Menschen zu sichern.
Die zweitälteste bisher gefundene Statuette der Welt, die Venus vom Galgendorf, ca. 32.000 Jahre alt , stellt vemutlich eine Tänzerin in der typischen Tanzpose (ein Arm zum Himmel gehoben, der andere ruht auf der Hüfte) dar, die man bis heute im orientalischen Tanz als eine wichtige Tanzfigur vorfindet.
Schon im späten Paläolithikum entwickelten sich Kulturen, die den Frauenkörper in den Mittelpunkt der Verehrung stellten. Im südlichen Teil Europas erforschte die Archäologin Marija Gimbutas an die 50.000 Artefakte aus dem späten Paläolithikum und Neolithikum und versuchte mit ihren vielen wissenschaftlichen Studien die Existenz matriarchaler und matrilinearer gesellschaftlichen Strukturen und der Großen Göttin, die sich in verschiedenen Formen manifestierte, nachzuweisen. Attribute der Fruchtbarkeitstänze, wie. z.B. aus Muscheln, Perlen oder später aus Kupfer angefertigter Hüft- und Brustschmuck, zeugen von der Wichtigkeit dieser Körperregionen bei der Durchführung der Fruchtbarkeitsriten. Noch heute ist der Kupferplättchengürtel ein wichtiges Tanzaccessoire der Bauchtanzkleidung, besondes bei dem ursprünglichen, folkloristischen Tanz.
Auch auf unzähligen kleinen Steinstatuetten eingeritzte Kleidung betonte die Vulva als die heilige Quelle, die das Leben hervorbringt und damit den Fortbestand der menschlichen Gesellschaft sichert, und die Brust als die nährende Quelle für das neu geborene Kind.
Die Große Göttin aus der Urzeit mit ihren verschiedenen Aspekten beeinflusste maßgeblich die späteren weiblichen Gottheiten wie die  altbabylonische Göttin Ishtar oder spätere Astarte, altgriechische Hekade/ Artemis und die altrömische Göttin der Jagd und der ungezähmten Natur, Diana. Ihnen zu Ehren fanden Kultfeste statt, bei denen Musik und Tanz wesentliche Bestandteile waren.
Fachleute haben in neuester Zeit im südlichsten Teil Ägyptens, an der Grenze zum Sudan, im Gilf el Kebir Plateau, Felsenmalereien entdeckt, die auf ca. 5-6.000 Jahre v.Chr. datiert wurden.
Unschwer erkennt man darauf eine Kreisformation tanzender Frauen in Posen, wie sie uns heute noch im Bauchtanz begegnen. Ein Beispiel dafür, dass der Tanz in Ägypten bereits in vordynastischer Zeit eine wichtige Funktion im Kult einnahm.
Die altägyptische Göttin Hathor, eine der ältesten und mächtigsten Gottheiten, war unter anderem die Göttin der Fruchtbarkeit. Die Körperegion, aus der Horus, ihr Sohn, der vor- und frühdynastische Aspekt des ägyptischen Sonnengottes, geboren wurde, hieß „Hut-heru“, übersetzt „Haus des Horus“. Es bedarf wenig Phantasie, aus dem Wortlaut das Wort „Uterus“ herauszuhören. Das ist die medizinische Bezeichnung für die Gebärmutter, der Quelle und dem Sitz des ungeborenen Lebens.
Von den vielfältigsten Formen des Tanzes im Alten Ägypten nahmen die Tänze zu Ehren der Göttin Hathor eine herausragene Stellung ein. Kein Fest war denkbar, ohne dass man mit Tanz und Musik der Hathor huldigte, sie zum Fest rief und das feierliche Geschehen unter ihren Schutz stellte, aber auch dadurch ihr göttliches Wesen besänftigte. Dies war um so notwendiger, als sie nicht nur die Göttin der Musik, des Festes, des Tanzes und der Liebe war, sondern auch Elemente einer Totengöttin in sich vereinigte. Ihr Kultinstrument war das Sistrum, ein rasselähnliches Rhythmusinstrument, das man durchaus als den Vorläufer der Kastagnetten und Zymbeln betrachten kann.
Durch das rhythmische Schlagen dieses Sistrums wurde die Göttin angerufen, man tat dies aber auch durch das sogenannte Schlagen des Grünen, im Altägyptischen seschesch-wadsch, d.h. durch das Aneinanderschlagen von jungen, noch grünen Papyrusstengeln. Dieser Kult hat sich – besonders in Oberägypten – durch den Stocktanz bis in die heutige Zeit erhalten. Die Kulttänzerinnen genossen im Alten Ägypten hohes gesellschaftliches Ansehen und nicht wenige von ihnen bekleideten auch wichtige priesterliche Ämter.
Der altägyptische Tanz wurde maßgeblich von den Einflüssen aus Schwarzafrika geprägt und noch heute hat sich im Bauchtanz der sog. „afrikanischer Bauchkreis“ oder „Shimmy“, verschiedenartige Schüttelbewegungen des Brustkorbs, des Bauches oder der Hüften erhalten.

In patriarchalen Gesellschaften trat nach und nach die Verehrung der weiblichen Fruchtbarkeit in den Hintergrund. Trotzdem konnte der Berufstand der Bauchtänzerinnen im Orient teilweise unter sehr schweren Bedingungen überleben. An alten magischen Orten werden vereinzelt immer noch Riten zur Erhaltung der Fruchtbarkeit durchgeführt .
Im mittelalterlichen Europa wurde die Körperlichkeit zum größten Teil verbannt und auf das Minimum der Fortpflanzung reduziert. Aus dem Wort Uterus hat man das Wort „Hysterie“ abgeleitet und die Gebärende oft wie eine Kranke behandelt.
Doch der Kampf der Frauen um ihre Rechte durch die Jahrhunderte änderte ihr Selbstverständnis - also auch ihre Beziehung zu ihrem Körper und zum Tanz.

In den orientalischen Gesellschaften lebte der Bauchtanz weiter als wichtiger Bestandteil der Frauenkultur im Alltag. z.B. Tänze der Frauen im Hamam, und es wurden Berufstänzerinnen zu so wichtigen Anlässen wie Geburt und Hochzeit engagiert.
Eine der ethnischen Gruppen, die die Tradition des Fruchtbarkeitstanzes weiterpflegten und erhielten, sind Zigeuner. Aus Indien kommend, zogen sie in Richtung Westen und verdienten ihren Lebensunterhalt mit Musik und Tanz. Sie bewahrten die alten Traditionen, nahmen aber auch die Elemente der Kulturen, denen sie begegneten, auf. Den temperamentvollen und leidenschaftlichen Zigeunertanz haben heute viele namhafte Tänzerinnen in ihrem Repertoire.
Die Tänze der Ghawazi, wie man die ägyptischen Bauchtänzerinnen nannte, wurden in den Reiseberichten von Flaubert und Curtis um 1852 eingehend beschrieben. Der „Dance de ventre“ sorgte in der damaligen Kulturmetropole Paris sowohl für Begeisterung wie auch Entrüstung .

Die syrische Tänzerin Fahreda Mazahr, genannt Little Egypt, wurde in Paris sehr berühmt und ihren Tanz beschreibt ihr Entdecker Sol Bloom wie folgt::
"In Wirklichkei war der Dance de Ventre, obgleich sinnlich und erotisch, einfach ein Meisterstück an Rhythmus und Schönheit; er war choreographisch vollkommen und das erkannten sogar die ungeschultesten Zuschauer. Was immer sie zu sehen gehofft hatten, sie waren hingerissen von der Darbietung, die ihnen geboten wurde."

Europäische Tänzerinnen nahmen zunehmend orientalische Elemente in ihren Tanz auf. Meist aber fehlte es diesen Tänzen an Authentizität und es entstand ein Zerrbild der orientalischen Tänzerin als Verführerin oder „femme fatal“, das mit der ursprünglichen Bedeutung als Fruchtbarkeitstanz nicht mehr viel gemeinsam hatte.
Von den Ouled Nail aus den Dörfern der algerischen Sahara vermutet man, dass sie die uralten Traditionen weiterführten.. Die Mütter lehrten ihre Töchter die überlieferten Tänze. Diese zeigten ihre Kunst in den Cafes der entfernten Oasen, bekamen dafür Schmuck und Münzen , mit denen sie ihre Kostüme phantasievoll schmückten. Nach einer bestimmten Zeit kehrten sie mit ihrer ertanzten Mitgift in ihre Dörfer zurück , heirateten und übertrugen ihr altes Wissen und tänzerisches Können wiederum auf ihre Töchter. Mit ihren prachtvollen Kostümen waren sie eine Inspiration für europäische kunstbegeisterte Reisende.
Anlässlich der Weltaustellung 1889 in Chicago kam das breite Publikum in Amerika zum ersten Mal in Berührung mit den exotischen, schlangenartigen Bewegungen und vibrierenden Muskeln der Tänzerinnen und eine Lawine der Begeisterung, aber auch Empörung, setzte sich in Gang.

Doch ab dann hielt der Bauchtanz unaufhaltsam seinen Einzug in die westliche Tanzkunst, in das Theater und später in die Filmkunst.
Auch in Russland öffnete sich die Bühnenkunst dem Zauber des Orients und es fanden großartige Aufführungen mit prachtvollen Szenen und Kostümen statt.
Die Faszination dieses Tanzes hält an und motivierte Tausende von Frauen weltweit, sich dieser Tanzform zu widmen, seinen angeschlagenen Ruf zu verbessern und ihn in Richtung preziöser Kunst zu entwickeln.
In Amerika entstand durch den Einfluß der orientalischen Einwanderer und tanzbegeisterten Amerikanerinnen ein besonderer Tanzstil, genannt „American Cabaret Bellydance“.

In Kairo beeinflusste umgekehrt auch westliche Musik und Tanz den einheimischen Bauchtanz. So entstand der Unterschied zwischen dem städtischen und den ländlichen Tanzstilen . Viele der ägyptischen Tänzerinnen wurden sehr berühmt und traten zunehmend auf größeren Bühnen und mit Orchesterbegleitung auf. Sie wurden verehrt und vergöttert , besonders seit die ägyptischen Liebesfilme auch mit Bauchtanzszenen ausgeschmückt wurden.
Heute ist in den Ländern des Nahen Ostens der orientalische Bauchtanz mehr denn je beliebt; oft als tänzerische Interpretation der bekannten Liebeslieder. Es wird erwartet, dass Mädchen ihn tanzen können, aber nur unter Frauen. Der Beruf der Bauchtänzerin wird immer noch nicht genügend respektiert, trotz der Popularität vieler berühmter Tänzerinnen, die oft auch gleichzeitig Sängerinnen sind.

Weltweit setzen sich Frauen (und Männer) mit Erfolg für die Anerkennung dieses ältesten und weiblichsten aller Tänze ein und es hat sich dadurch eine sehr lebendige Bauchtanzszene, die sich gegenseitig beeinflusst und befruchtet, gegen alle Widerstände durchgesetzt.
In der heutigen multimedialen Gesellschaft vermischen sich die Musik- und Tanzstile immer mehr und wir finden in vielen Tanzarten ( wie Z.B. Latin Dance, Bollywood-Tanz, Flamenco oder sogar Street Dance) Elemente der Schulter-, Hüft- und Bauchbewegungen, wie auch viele Schrittkombinationen, die charakteristisch für den orientalischen Tanz sind .